Lebst du dein Leben noch oder bist du schon Teil des Algorithmus

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Welche Auswirkungen hat die Infoflut auf uns? Eine der Auswirkungen ist wirklich eine sehr fiese und aus meiner Sicht eine die tatsächlich unterschätzt wird.

Alle sozialen Netzwerke haben großes Interesse daran, dass wir Nutzer möglichst lange auf ihren Seiten verweilen. Warum? Nun dann steigen die Chancen, dass man immer wieder und noch länger auf den Plattformen verweilt. Diese Dauer und Häufigkeit ist das was die Häufigkeit steigen lässt, dass Anzeigen angeklickt werden. Genau damit wird Geld verdient.

Das mit dem Geld verdienen ist nichts Verwerfliches. Wer ein Geschäft hat, versucht genauso Wege zu finden, dass die Kunden länger verweilen, weil dadurch die Chance steigt, dass etwas verkauft wird. Doch hier lässt sich online und offline nicht mehr vergleichen.

Unser Gehirn ist immer auf der Suche nach Neuem und Interessantem. Es sucht förmlich danach etwas zu entdecken, denn das gibt ihm den Kick. Den Dopamin-Kick genauer gesagt.

Das ist wie beim Geschenke auspacken. Was könnte denn hier drin sein und was könnte sich hinter dieser Verpackung verbergen. Oder wie bei Glücksspiel Automaten. Bei denen immer wieder die Chance besteht zu gewinnen, wenn man Geld eingeworfen hat und den Hebel zieht. Das Belohnungssystem in Aktion.

Bildquelle: pixabay | geralt

Der Algorithmus belohnt uns – vermeintlich…

Blöderweise ist das bei diesen Plattformen online ebenso eingebaut. Ob das nun Facebook, Twitter, Instagram oder Snapchat ist. Es könnte sich jederzeit nach dem Scrollen noch etwas Interessanteres ergeben, etwas das noch mehr Spaß verspricht, etwas dass mir noch mehr “gibt”.

Und so scrollen wir. Wie die Ratten, denen in einem Versuch, zwei Hebel zur Verfügung gestellt wurden. Beim Belohnungshebel gab’s so was wie einen Belohnungsorgasmus und die Ratten drückten, bis sie verhungerten und verdursteten.

Jedes mal wenn wir wieder eine Daumenscrollbewegung machen, ist das ein Impuls vom Gehirn und ans Gehirn. Es wird Dopamin ausgeschüttet, so als ob wir den einarmigen Banditen den Hebel ziehen. Es könnte ja was kommen, es könnte der Gewinn sein.

Bei Facebook & Co. ist es kein Gewinn, sondern einfach nur das nächste Bildchen, das nächste Filmchen, der nächste Text. Und doch können wir zusammengezählt Stunden damit verbringen, uns hier durchzuscrollen. Es gibt kein Ende, weil der Stream kein Ende hat. Ein endloses Vergnügen…

Was wir sehen ist keineswegs von uns wirklich ausgesucht, sondern wird von einem ausgeklügelten Algorithmus gesteuert, der wahrnimmt, bei was wir länger verweilen, was wir anklicken, worauf wir reagieren.

Gefühle machen uns lenkbar

Das wiederum ist fast alles durch Emotionen geprägt. Wir reagieren auf emotionale Dinge. Daher werden die Überschriften von Artikeln auch immer reißerischer, weil versucht wird, eine noch größere Emotion als der Konkurrent hervorzurufen. Von Abscheu, bis über die berühmten Katzenbildchen (oder andere Tiergeschichten) hin zu erschreckenden Nachrichten, extremen Gegenüberstellungen und emotionalen Stories aller Art.

Es ist schwer zu unterscheiden was davon echt ist und was Fake-News. Die Verschiebung in den Inhalten zu bestimmten Themen geht mit wenigen Klicks vonstatten. Ohne dass wir das unbedingt immer bemerken.

Besonders auffällig ist es bei YouTube. Wer dort – aus welchen Gründen auch immer – bei einem Video mit tendenziell ausländerfeindlichem Inhalt gelandet ist, hat nach kürzester Zeit die Vorschlagsliste an Videos auf der rechten Seite mit ähnlichen dieser Videos voll gepflastert.

Dem Algorithmus ist es vollkommen egal, was die Inhalte sind. Es wird ausschließlich darauf reagiert, was wir anklicken. Das bedeutet, dass es zwar in unserer Aktion und damit auch Verantwortung liegt, was wir sehen, doch das ist nicht unbedingt etwas das wir sehr bewusst machen. Wir reagieren auf emotionale Dinge und bewerten sie nicht aus einer Distanz heraus, ob das nun wirklich gut ist.

Dazu nehmen wir uns gar nicht die Zeit. Wir wollen einfach nur mal eben schnell gucken, was es denn so Neues gibt…

Eine künstliche Welt

Wir lassen also unseren Dopamin Haushalt durch einen technischen Algorithmus steuern und das hat Folgen.

Es macht uns in keinster Weise glücklicher. Im Gegenteil. Inzwischen ist die Forschung belastbar geworden, dass das zu lange Verweilen auf Social Media Plattformen zu depressionsähnlichen Stimmungen führt.

Es ist eine Welt die wir hier sehen, die nichts mit der Realität zu tun hat. Auf Instagram werden Bilder sorgfältig ausgewählt, bearbeitet und dann erst gepostet. Nur das schönste, beste und und tollste wird hochgeladen.

So entsteht der Eindruck, dass das Leben ist, was die anderen führen. Und wir nicht. Denn in unserem Leben ist nicht immer alles so schick, heil und fröhlich. Das ist es übrigens in den anderen Leben auch nicht, doch das sehen wir nicht.

Und was wir nicht sehen, das nehmen wir auch nicht in die Rechnung mit auf. Es bleibt nur das schicke Leben das gepostet wird, das mit unserem durchschnittlichen Leben mit seinen Auf und Abs verglichen wird.

Wir scrollen uns also systematisch in eine schlechte Stimmung. Obwohl wir es doch eigentlich machen um uns abzulenken von unserem Leben. Das ist dann das Paradox schlecht hin.

Schlechte Stimmung selbst gemacht

Wir haben grad Leerlauf in unserem Tag, fühlen uns nicht so richtig gut und wollen das alles nicht mehr fühlen. Greifen zum Handy und wollen uns ablenken. Schauen dann verschiedenste Netzwerke durch und fühlen uns danach noch schlechter.

Merken jedoch nicht, dass wir nur durch das Scrollen noch miesere Stimmung haben als vorher schon. Da war sie wieder, die fehlende Achtsamkeit. Wir nehmen nicht mehr wahr, was das was wir tun, für Wirkungen auf uns hat.

Konzentration – Wie ging das nochmal…?

Was ebenfalls eine Folge der digitalen Infoflut ist: Wir verlernen uns zu konzentrieren. Wir hopsen von einem Thema zum nächsten und sind nicht mehr in der Lage Dinge wirklich zu beenden und durchzudenken.

Nehmen wir unser email-Postfach. Es geht in vielen Fällen total über. Jeden Tag kommt neues Zeug herein und wir sehen uns einer Menge an Mails gegenüber, die uns das Gefühl gibt, dass wir das niemals aufarbeiten werden. Wie in dem Märchen in dem der Topf mit dem Brei überkochte und immer mehr und immer mehr wird.

Wir fangen an Mails zu beantworten und hüpfen dann schnell ins Internet, weil uns einfällt, dass wir etwas noch nicht nachgeschlagen haben. Dann geht’s wieder zurück zu Mail, doch stopp ich wollte ja eigentlich noch diese Rechnung schreiben, damit ich dann später die andere Mail abschicken kann.

Und damit sind wir dann in Word gelandet oder im Rechnungsprogramm und machen dort weiter. Dann fällt uns ein, dass wir noch die Kalkulation in Excel fertig machen müssen und schwups ist das nächste Programm geöffnet. Dazwischen klingelt dann vielleicht noch das Handy und zeigt neue Nachrichten an, die wir natürlich sofort lesen müssen.

Dabei haben wir den Impuls nur mal eben schnell in Facebook rein zuschauen und bei Instagram könnten wir auch geschwind einen Blick rein werfen. So vergeht die Zeit und die unbeantworteten Mails türmen sich nach wie vor im Posteingang.

Wir verlernen durch die digitale Flut an Dingen dran zu bleiben und Dinge zu beenden. Doch das ist nicht der Flut an sich geschuldet, sondern unserem Umgang damit.

Abgelenkt sein? Note 1

Wir sind Meister des Ablenkens geworden. Das ist es, was wir unseren Gehirn beibringen und trainieren. Wir sind super trainiert im abgelenkt sein.

Wenn wir versuchen an einer Sache dran zu bleiben, fällt uns das inzwischen oft richtig schwer. Der Kopf macht sich selbständig, weil ihm – antrainierterweise – genau diese anderen Sachen einfallen, die wir ja auch noch machen könnten.

Unsere Gedanken lassen uns dabei nicht in die Konzentration finden.

Ständig sind alle Programme offen und melden sich durch ein Piepsen, ein Signal oder machen sich sonst wie bemerkbar. Da wir nun tatsächlich die meiste Zeit an mobilen Geräten verbringen, ist es besonders schwierig an etwas dran zu bleiben, weil der Impuls ständig da ist, das Gerät in die Hand zu nehmen.

Wir werden langsamer, machen viel mehr Fehler und kommen insgesamt kaum noch wirklich vorwärts an den Projekten die uns doch eigentlich wichtig sind, bzw. Arbeiten die zu erledigen sind.

Leider ist damit noch nicht das Ende der Fahnenstange erreicht. Denn wir werden nicht nur langsamer und machen mehr Fehler, wir sind auch immer weniger in der Lage Dinge wirklich durchzudenken.

Nachdenken geht nur ohne Ablenkung

Wir bleiben immer mehr an der Oberfläche. Denn zum in die Tiefe gehen, braucht man Zeit. Zeit am Stück. Ununterbrochene Zeit. Zeit die wir für nichts anderes verwenden, als über ein Thema nachzudenken.

Uns wirklich zu vertiefen heißt, dass wir etwas ausloten, von verschiedenen Seiten beleuchten, uns Fragen stellen, möglichen Antworten nachgehen und nicht lockerlassen, bis wir ein grundlegendes und vertieftes Verständnis von dieser einen Sache gewonnen haben.

Das bedeutet ohne Technik da zu sitzen und nachzudenken. Sich Notizen zu machen, Verbindungen zu schaffen, es mit bereits verwendeten Lösungen zu vergleichen, überlegen wie ein Ergebnis aussehen könnte.

Dieses in die Tiefe gehen erfordert von uns die Fähigkeit des Konzentrieren. Wenn wir unser Hirn jedoch darauf trainieren, dass wir ständig von einer Blume zur nächsten hopsen, können wir nicht mehr in die Tiefe gehen. Damit bleiben auch unsere Ergebnisse an der Oberfläche.

Wie wollen wir unser Leben leben? Wollen wir an der Oberfläche bleiben oder wollen wir in die Tiefe gehen?

Wenn wir das Zweitere vorhaben, dann muss uns bewusst werden, dass wir mit der momentan üblichen Herangehensweise dazu beitragen, dass wir das verlernen.

Wir geben unsere Handys kaum mehr aus der Hand. Vielleicht hast du es gerade in der Hand um diesen Text zu lesen. Oder es liegt neben dir, wenn du das am Computer liest.

In immer mehr Büros liegt das Handy so unterhalb der Tastatur vom Computer, dass während des Tippens immer wieder ein Blick darauf geworfen werden kann.

Ist das nicht verrückt? Wie nah wir diese Technik an uns heran lassen?

Wenn wir das ganze jetzt noch kombinieren mit Uhren, die wir am Handgelenk tragen und die eigentlich keine Uhren mehr sind, sondern Computer, dann legen wir die Technik gar nicht mehr ab, die uns ablenkt. Wir haben es direkt immer am Arm dabei, was uns Nachrichten schicken kann und Mitteilungen aus allen möglichen Netzwerken zeigt.

Wo hört der Mensch auf und fängt die Technik an?

Oft habe ich das Gefühl, dass die Menschen nicht mehr wissen, was sie da eigentlich tun. Wie sehr sie selbst gewollt zulassen, dass die Technik Raum in ihrem Leben einnimmt und von ihrem Körper fast nicht mehr zu trennen zu sein scheint.

Wir vermessen uns selbst, lassen die gegangenen Schritte zählen, haben unseren Schlafrhythmus immer bei der Hand und vielleicht sogar noch den Herzschlag.

All das ist immer näher an uns. In Workshops schauen die Teilnehmer nicht mehr nur auf die Uhr, sie prüfen damit ihre Nachrichten und lesen, was ihnen geschrieben wurde. Sie brauchen dazu nicht mal mehr das Handy in die Hand zu nehmen,

Die Technik ist ihnen so nahe geworden, dass es keinen weiteren Handgriff mehr braucht. Und es findet niemand seltsam oder gar gruselig, wie sehr wir unser Leben dadurch regieren lassen.

Denn Fakt ist, dass wir selbst es sind, die wir zulassen, dass unser Aufmerksamkeit dermaßen zerfleddert wird. Noch vor 5 Jahren war das nicht so sehr allgemein vertreten, dass man den Computer immer am Arm träg.

Um das hier gleich noch richtig zu stellen, mir geht es nicht um ein Technik-Bashing. Es ist großartig, was inzwischen möglich geworden ist und das sollten wir unbedingt nutzen für uns.

Um was es mir geht, ist das Wahrnehmen dessen, was mit uns dadurch passiert und dass wir achtsam sein müssen, damit uns das nicht in unserem Leben eine Veränderung beschert, die uns in keinster Weise gut tut.

Wir sollten uns das Beste aus allen Welten holen oder bewahren und nicht in Gefahr sein, ein oberflächliches und immer mehr unglückliches Leben zu führen.

Wie sich das anstellen lässt, werden wir uns in kommenden Artikel näher anschauen. Für heute gibt es eine Wahrnehmungsaufgabe von mir.

Schau in den nächsten Tagen ganz bewusst darauf, wie andere Menschen die du triffst oder siehst, mit der Technik umgehen.

  • Haben sie ständig das Handy in der Hand?
  • Oder schauen Kollegen in der Besprechung unter dem Tisch auf ihr Handy oder spielen an der Uhr herum?
  • Wer hat in der Firma das Handy auf dem Tisch neben der Tastatur liegen?
  • Wie erlebst du Menschen, wenn du in der Stadt unterwegs bist. Wie viele davon starren beim Gehen in ihr Handy?
  • Wer schiebt den Kinderwagen und hat sein Handy in der Hand?
  • Wer unterhält sich (eigentlich) und hat trotzdem das Handy parat in der Hand?
  • Wie ist das im Restaurant, was fällt dir dort auf?
  • Gibt es Unterschiede im Alter? Siehst du überhaupt noch Jugendliche, die das Handy nicht in der Hand haben?
  • Welche Menschen kennst du noch, die Handy-Verweigerer sind? Oder ihr Handy selten benutzen? Was sind die Unterschiede, die du wahrnehmen kannst?
  • Hast du das Gefühl, dass sich Gespräche dadurch verändern? Fühlst du dich noch so wahrgenommen wie früher?

Lass das alles auf dich wirken. Denk darüber nach. Mach dir wirklich klar, was hier passiert und was du in deinem Leben zulässt. Frag dich ernsthaft oft du das wirklich willst.

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