In Verbindung bleiben mit den Toten.

In Verbindung bleiben mit den Toten. Hm, ist das jetzt so ein Woowoo Geisterbeitrag? Nein, ich mein das tatsächlich vollkommen ernst und pragmatisch.

Wir sind nur auf der Welt, weil es unendlich viele Menschen gegeben hat, die vor uns kamen. Du bist das Kind von Überlebenden.

Ja, wir leben jetzt und wir leben in die Zukunft. An der Vergangenheit kleben zu bleiben ist fast nie eine gute Idee. Das meine ich auch nicht damit. Für mich geht es sehr in Richtung die Toten zu ehren und in mein Leben zu integrieren.

Und bevor wir uns hier in irgendwelchen verstiegenen Gedanken verlieren, lass mich das auf eine ganz praktische Ebene bringen.

Photo by Alfonso Navarro on Unsplash

Was ein Leben hinterlässt

Im Oktober 2021 ist meine Mama verstorben. Wenn jemand stirbt, bleibt vieles von ihm zurück. In meinem Fall war das eine ganze Wohnung voll Sachen, die geblieben ist. Diese musste ich ausräumen. Entscheiden was damit geschehen soll. Das ist nicht so einfach, denn mit all den Dingen sind Emotionen und Erinnerungen verbunden.

Manche Dinge waren sogar noch älter als meine Mama geworden ist, da auch sie Menschen verloren hatte und Dinge aus deren Leben übernahm.

Natürlich lässt sich nun nicht alles aufheben. Wenn wir in unsere Schränke schauen, dann gibt es da einiges, was man direkt unbesehen wegwerfen kann. So geht es wohl den meisten Menschen. Daher ist das was bleibt, immer eine bunte Mischung aus noch gebrauchsfähigen Dingen, emotionalen Stücken und altem Plunder.

Viele der Sachen sind erstmal nur in Kisten gepackt worden, damit die Wohnung leer wird. Schließlich war sie gekündigt und musste ausgeräumt werden.

Dinge aus der Vergangenheit in meine Gegenwart integrieren

Während des Räumens sind mir Dinge in die Hand gefallen, die nicht in einer Kiste verschwanden, sondern die ich direkt mit nach Haus und in mein Leben nahm. Ihre Lieblingstücher z.B.

Meine Mama hatte eine ganze Sammlung davon und eines war ein wunderschönes Regenbogentuch. Das hängt nun bei mir am Bücherregal (das übrigens auch von ihr war und perfekt in mein Esszimmer passt) und erinnert mich immer an ihre Freude die sie mit dem Tuch hatte.

Das wiederum erinnert mich daran, dass es wichtig ist, Freude im Leben zu suchen. Aktiv zu suchen. Nicht Dinge zu horten, sondern sich bewusst Sachen für den täglichen Gebrauch zu suchen, an denen man sehr lange Freude hat.

Jedes Mal wenn ich das Tuch sehe, merke ich, wie ich lächle und mir mein Herz aufgeht. Jedes einzelne Mal. Es ist eine Verbindung mit meiner Mama, einer die tot ist und es ist eine Verbindung mit der Freude in meinem eigenen Leben, das ich jetzt lebe.

So kann mir ein simples Tuch nicht nur Erinnerungen zu meiner Mutter schenken, sondern es kann mich gleichzeitig daran erinnern, diese Eigenschaft, wie sie das Leben betrachtet hat, in meinem Leben zu pflegen.

Dass es wichtig ist, die Freude im Leben bewusst zu suchen und zu pflegen. Freude in den kleinen Dingen zu finden. Freude im Alltäglichen zu finden. Freude in dem zu finden, was mich umgibt.

Das bedeutet auch ein Reduzieren. Denn wenn wir von zu viel Dingen umgeben sind, kann es passieren, dass die Freude schwindet, weil wir sie gar nicht mehr wahrnehmen vor lauter Zeug.

Falls du mal endlich daheim ausmisten willst, dann schau dir unbedingt die Fastenchallenge näher an. Betreutes Ausmisten ;) Der Countdown beginnt langsam und am Aschermittwoch geht’s los.

Erlebnisse festhalten und für die Nachwelt bewahren

Wenn ich in Verbindung mit den Toten bleibe, dann bedeutet das auf einer Seite Dinge von ihnen in mein Leben zu übernehmen, es bedeutet ebenfalls manches Gedankengut weiter zu tragen.

Mein Vater wurde im Jahr 1922 geboren. Er war im Krieg und viele Jahre in Kriegsgefangenschaft. Er kehrte erst 1949 nach Hause. 4 Jahre nach Kriegsende. Seine Erinnerungen hat er aufgeschrieben und ist wohl nie wirklich mit all den schrecklichen Ereignissen fertig geworden. PTSD (post traumatsiche Belastungsstörung) wurde damals weder diagnostiziert, geschweige denn behandelt.

So hat er versucht auf seine Art mit den Erlebnissen fertig zu werden und hat einiges davon aufgeschrieben. Er wollte, dass das nicht verloren geht.

Mein Vater hatte eine Schreibmaschine, die er für solche Texte verwendet hat. Eine dieser alten Art mit Typen und schwarzen Band. Bei dem es dir passieren konnte, dass sich alles verheddert hat, du schwarze Finger bekamst mit Tinte die völlig resistent gegen Wasser war und die es geschafft hat, deine Finger schmerzhaft aufzuschürfen, wenn du das Pech hattest beim Tippen zwischen die einzelnen Tasten zu geraten.

Die Texte, die er als Erinnerungsfetzen aufgeschrieben hatte, gab er mir und bat mich sie auf dem Computer zu tippen. Auf dass sie der Nachwelt erhalten bleiben mögen. Er fügte eigene Gedanken zu den Geschehnissen hinzu. Es sind Seiten eines Zeitzeugen, der das Grauen dokumentiert hat, dass er erleben musste.

Allein diese Dokumente machen den Satz “mit den Toten in Verbindung bleiben” auf vielfältige Weise wichtig. Durch seine Texte waren Kriegskameraden die es nicht geschafft hatten nach Hause zu kommen, ebenfalls ein Denkmal gesetzt.

Für mich war es eine so sehr wichtige Erfahrung diese Zeit von jemandem berichtet zu bekommen, der tatsächlich dabei war. An vorderster Front, im Beschuss, im unfassbaren Grauen. Das ist etwas ganz anders, als das im Geschichtsunterricht durch zu nehmen.

Die letzten Zeitzeugen die es gibt, werden nicht mehr lange unter uns weilen. Inzwischen ist der Krieg so viele Jahre her, dass es ein natürlicher Prozess ist, diese Menschen zu verlieren. Doch damit geht auch das direkte Erleben aus der Welt.

Das was geschah rutscht immer weiter in der Wichtigkeit nach hinten. Dass es für uns ein Privileg ist, schon soviel Jahre in Deutschland und Europa in Frieden zu leben, fällt den meisten überhaupt nicht mehr auf.

Und doch ist es ein Privileg. Eines das wir hüten müssen wie den größten Schatz. Das können die Toten anmahnen und wir sollten mit diesem Wissen in Verbindung bleiben.

Frieden zu bewahren ist aus meiner Sicht ein Vermächtnis, dass wir den Toten schuldig sind. Und nicht nur uns, sondern auch der Zukunft und denen die nach uns kommen.

Erinnerungen an ein früheres Ich bewahren

Wenn ich bei meinem Vater bleibe, dann fällt mir natürlich sofort sein Schneidertisch ein. Ein Schneidertisch ist ein besonders großes Ungetüm an Möbel, wenn man so will. Zum Zuschneiden braucht man eine große Fläche und es gibt tausende von großen und kleinen Utensilien die beim Schneidern benötigt werden.

Dieser Schneidertisch steht nun seit Mitte 2006 in meinem Büro. Zum Teil ist er immer noch gefüllt mit den Schneider-Utensilien. Es gibt Schubladen mit fein säuberlich geordneten Garnspulen, eine andere mit todesscharfen Schneiderscheren und wieder eine andere mit einer Sammlung an Schneiderkreide, Knöpfen, Nadeln und anderen Kleinigkeiten.

Auch wenn ich nicht so oft zum Nähen komme, wie ich mir das wünschen würde, ist alles da, wenn ich es brauche. Jedes Mal wenn ich eines dieser Dinge in die Hand nehme, tue ich das auch in Erinnerung an meinen Papa. In Erinnerung der Stunden die ich als Kind bei ihm in der winzigen Schneiderwerkstatt unter dem Dach in unserem alten Haus verbracht habe.

In der er an der Nähmaschine saß und ich kleiner Zwerg angefangen habe, für meine Pseudo-Barbipuppe Kleider zu entwerfen. Und das war der einzige Zweck zu dem ich jemals mit diesen Puppen gespielt habe. Ansonsten war ich eher der Plüschtiertyp ;)

Meine Kreativität wurde befeuert von all den Stoffresten, der Knopfschachtel mit hunderten von einzelnen übrig gebliebenen Knöpfen von unzähligen Kostümen, Anzügen, Röcken und Jacken die mein Vater genäht hatte.

Die Kollektion der Kleidung die ich entwarf, umfasste ein griechisches Abendkleid aus einem bordeauxroten Samtstoff bis hin zu einem gehäkelten Bikini für die Dame von Welt :)

Ach ja, es waren schöne Stunden die mir immer in Erinnerung bleiben werden. Doch die Dinge aus dem Schneidertisch sind nicht das Einzige was geblieben ist.

Denken aus der Vergangenheit bewahren und in das eigene Leben integrieren

Damit verbunden wird immer die Sorgfalt bleiben, die mein Vater in seiner Arbeit an den Tag gelegt hat. Jede Naht war schnurgerade, die Kleidungsstücke saßen an den Schultern genauso wie in der Taille.

Als ich größer wurde und mehr von ihm lernen konnte, ließ er mich gefühlt stundenlang immer wieder das gleiche machen. Knopflöcher nähen z.B. Du meinst, das kann ja nicht so schwer sein? Ha, das solltest du dir nochmal überlegen. Ich hab Tage gebraucht, bis die Knopflöcher seine Gnade fanden. Bis sie so gerade und gleichmäßig genäht waren, dass es die Qualität war, die er immer angestrebt hat.

Ja, das ist mir oft auf die Nerven gegangen. Nein, das hat nicht wirklich Spaß gemacht. Doch mit wie so vielen Dingen, ist es der Weg, der unerlässlich ist, um zu einer Meisterschaft zu gelangen. Das Ergebnis das aus Durchhaltevermögen, Blut, Schweiß und Tränen geboren wird, bleibt einem soviel mehr im Gedächtnis und man bewahrt diese Dinge ganz anders.

Diese Sorgfalt und Mühe zu investieren, nicht so schnell mit einem Ergebnis zufrieden zu sein, sondern immer wieder versuchen sich zu verbessern, das hab ich von ihm mitbekommen. Das ist ein Erbe, das mir schon so viele gute Dienste getan hat. In meinem Unterricht, in meinen Seminaren, in meiner ganzen Arbeit.

Selbstdisziplin wirkt oft abschreckend, doch für mich ist es ein Stück Freiheit. Mich dafür zu entscheiden, es so gut zu machen, wie ich nur kann. Und das bedingt, dass ich dran bleibe, immer wieder die gleichen Schritte durchlaufe, immer wieder neu ansetze.

Und so ehre ich in meinem Tun auch meinen Papa, der mir diesen Arbeitsethos vorgelebt hat.

Möbel erzählen Geschichten und verbinden sie mit dem Heute

Eine große Spanne über die Generationen hinweg können Möbelstücke überbrücken. Antiquitäten scheinen oft eine Geschichte zu erzählen. Eine Geschichte der Zeit, der Menschen, der Gesellschaft und wie sie getickt hat.

Der Herrensekretär den ich von meinem Opa geerbt habe, hat diese Geschichte für mich. Mein Großvater war Lehrer, wie auch schon mein Urgroßvater und dieser Herrensekretär war sein Möbel, an dem er Aufgaben korrigiert hat und Aufsätze las.

Wenn ich meinen Blick hoch lenke von der Tastatur, sehe ich ihn stehen. In dem Wissen, dass er über 120 Jahre alt ist und für mich wunderschön. Ich setze eine Tradition fort, in dem ich ebenfalls lehre.

Das ist eine Verbindung die mich ganz besonders ergreift, wenn ich darüber nachdenke. Auch wenn ich über das Leben meines Großvaters kaum etwas weiß und über das Leben meines Urgroßvaters überhaupt nichts, ist uns eines gemeinsam: Wir standen und stehen alle vor einer Klasse.

Mein Erbe ist es zu lehren

Wir füllen die Köpfe unserer Schüler:innen und Teilnehmer:innen mit Wissen in der Hoffnung, dass es ihnen nützen möge und sie damit besser ihre Leben gestalten können.

Es gab wohl schon in früheren Generationen Lehrer in meiner Familie und das ist so ein verbindendes Gefühl. Zu wissen, dass ich etwas fortsetze, dass ich ein Teil dieser Geschichte bin.

Das sind Verbindungen die ich nicht missen möchte. Es verankert mich in der Zeit, es gibt mir das Gefühl nicht allein zu sein, es ist eine Art die Leben früherer Menschen zu ehren.

Schule und Bildung war mir immer schon wichtig. Ich war ein Kind, das super gern in die Schule gegangen ist. Mir gefiel das Umfeld, dass es immer etwas Neues und Interessantes gab und ich war gern in der Klassengemeinschaft.

Auch wenn ich ein zutiefst introvertierter Mensch bin, weiß ich, dass Lernen in Gemeinschaft eine ganz eigene Dimension hat. Diese Qualität des miteinander sich Neuem zuwenden, kann man allein nicht erschaffen.

Und so schätze ich diese Verbindung zu den Toten sehr in meinem Leben. Ich empfinde das überhaupt nicht morbide, denn ich mache daraus mein eigenes. So wie ich unterrichte, hat das niemand vorher aus meiner Familie getan. Das ist meine ganze eigene Herangehensweise die ich für mich entwickelt habe.

Die Zukunft braucht die Vergangenheit

Das bedeutet, dass Tradition und Zukunftsdenken sich für mich nicht ausschließen. Ich bin ein bewahrender Mensch. Ich finde es wichtig, die Vergangenheit nicht aus dem Blick zu verlieren, denn für mich ist sie die Grundlage auf der es mir möglich ist, in die Zukunft zu gehen.

Ein Anker, der mich ausrichtet und all die neuen Ideen und Gedanken auf fruchtbaren Boden fallen lässt.

Verbindungen zu den Toten zu halten ist für viele mit einem Grabgang verbunden. Das kann sehr tröstlich sein, einen Ort zu haben, den man mit Blumen gestalten kann. Für mich spielt das weniger eine Rolle. Da ich über die Dinge in meinem täglichen Leben mit den Toten in Verbindung bleibe.

Die Blumen die meine Mama auf dem Fensterbrett stehen hatte, stehen nun zum Teil bei mir (es haben nicht alle überlebt, da ich nicht unbedingt einen grünen Daumen habe ;)

Wenn ich sie sehe, fällt mir immer ihre Liebe zu schönen Blumen ein. Und die mussten keineswegs abgeschnitten in einer Vase am Tisch stehen, sondern sie hat mich immer auf schöne Blümchen und Farben aufmerksam gemacht, wenn wir miteinander spazieren gegangen sind.

Mein Garten zu hegen und zu pflegen, Gemüse anzubauen, Beerensträucher zu beernten um daraus Marmelade zu machen. All das verbindet mich mit ihr.

Wer Kochbücher mit Rezepten und vielen Randnotizen geerbt hat, weiß, dass es gar nicht so einfach ist, wie Mutter zu kochen. Und doch sind Gerichte, die wir aus unserer Kindheit kennen, oft die tröstlichsten Sachen die wir essen können.

Ein besonderes Kuchenrezept nicht nur für die jetzige Familie sondern auch im Gedenken an die von uns gegangene Familie zu backen, gibt dem Tun nochmal eine eigene Qualität. Rezepte die schon Generationen überdauert haben, sind etwas ganz Besonderes, finde ich.

Du bist wie deine Mutter… ;)

Der letzte Gedanke der mir durch den Kopf geht zur Verbindung zu den Toten, sind die kleinen Angewohnheiten und Ticks die wir übernommen haben. Manchmal fällt uns das gar nicht auf, sondern andere Menschen erkennen das an uns.

Ich muss oft lachen, wenn ich das bei mir selbst feststelle. Als Teenager fand ich das völlig unverständlich, dass meine Mama ihr wichtige Zitate und Sprüche überall aufgestellt hat. Sie sagte immer, sie möchte sich daran erinnern lassen, sich das einzuprägen, was ihr daran wichtig war.

Wenn ich mich heute auf meinem Esszimmertisch und in meiner Küche umschauen, dann wimmelt es da nur von kleinen und größeren Zettelchen, Karten mit Sprüchen und eigenen Gedanken, die ich unbedingt festhalten wollte. Sie umgeben mich, damit ich mir die Zeilen und darin enthaltene Botschaft einprägen kann.

Keine Ahnung wann ich das angefangen habe, doch klar ist, dass ich die gleiche Macke hab wie meine Mama und auch nicht gedenke sie aufzugeben. Wieder etwas das mich mit den Toten verbindet und gleichzeitig mein Leben prägt und erfüllt.

Und jetzt bist du dran: Wie ist das bei dir? Welche Verbindungen zu den Toten pflegst du bei dir? Schreib mir doch davon. Einfach eine Mail an info@wissensagentur.net Und Bonus Points gibt’s für alle übernommene Macken ;)

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