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Nur wer sich selbst halten kann, ist gehalten. Ich weiß nicht mehr genau, wo dieser Gedanke aufgetaucht ist, doch ich bin daran hängen geblieben.
Unser Leben hat eine unglaubliche Geschwindigkeit angenommen. Wir sind ständig auf dem Sprung. Noch eben schnell das Kind abholen, noch kurz zum Einkaufen springen, die Mutter noch kurz anrufen. Ständig droht schon das nächste, was dran ist. Die Filme die wir uns anschauen, haben immer schnellere Schnitte. Die Geduld für einen Film, der lange Einstellungen hat, ist kaum noch vorhanden.
Genauso wie wir durch unser Leben hetzen, sind wir inzwischen in unserer Freizeitgestaltung. Außer das extreme Gegenteil setzt sich durch, wenn wir auf der Couch vor dem Fernseher versacken. Nein, das wird jetzt keine Technik-Schelte, obwohl es nicht schaden kann mal zu überlegen, wie viel Zeit man doch all diesen Geräten opfert. Wer dazu klare Fakten haben möchte, dem sei dieser Artikel empfohlen.
Ständiger Konsum, ständiges berieselt werden durch egal welches Medium, versagt uns die Möglichkeit in uns zu sein. Wenn wir immer wieder Input aufnehmen, dann kriegen wir nie wirklich mit, was uns selbst gerade beschäftigt und wie es uns tatsächlich geht.
Bildquelle: Photo by Sven Read on Unsplash
Findest du Halt im Leben?
Menschen empfinden immer weniger Halt im Leben. Sie haben das Gefühl, dass sie allein gelassen sind mit ihren Problemen und nicht viel tun können um ihre Situation zu verbessern. Beziehungen brechen auseinander, Menschen verlassen einander, niemand bleibt für immer auf dieser Erde. Wir sind immer wieder mit Verlusten aller Art konfrontiert.
Wer sich nun nur nach außen ausrichtet und um jeden Preis versucht die Dinge zu bewahren, alles so behalten wie man es sich wünscht, der wird es damit sehr schwer haben.
Wir haben so wenig Kontrolle in unserem Leben. Auf andere Menschen Einfluss zu haben, ist eine wohlgenährte Illusion, nichtsdestotrotz ist sie das: eine Illusion. Jemanden an der Seite zu haben, ist ein riesiges Geschenk und keine Selbstverständlichkeit und es ist auch keine Garantie, dass das immer so bleiben wird.
Alles was es da draußen gibt, ist vergänglich. Alles. Wenn wir unseren Halt darauf bauen, werden wir immer wieder enttäuscht werden. Und das Wort enttäuscht hat eine interessante Bedeutung: Eine Täuschung hört auf. Ent-Täuscht.
Löse dich von außen und wende dich nach innen
Solange wir in der selbst gestrickten Welt bleiben und unseren Halt dort draußen suchen, wird es immer wieder diese Enttäuschungen geben. Das bedeutet nicht, dass wir nicht darauf vertrauen und hoffen sollten, dass andere uns beistehen, es heißt für mich, dass wir einen weiteren Weg nicht außer acht lassen sollten:
Wer inne hält, findet innen Halt
Diesen Satz darf man sich gern auf der Zunge zergehen lassen. Wer inne hält, findet innen Halt. Tatsächlich haben wir inzwischen kaum mehr eine Minute, in der nicht etwas auf uns einströmt oder unser Hirn mit etwas füttern.
Doch wenn wir uns nicht diese Ruhepausen in unserem Alltag bewusst nehmen und inne halten, in dem was wir tun, dann werden wir den Kontakt zu uns verlieren. Wir werden nicht die Fähigkeit pflegen können, uns selbst zu beruhigen. Innere Stärke erwächst daraus, dass ich in einem guten Kontakt mit mir stehe.
Was heißt das eigentlich genau? In einem guten Kontakt mit sich stehen?
Es bedeutet z.B. dass man über sich selbst weiß, wie sich Verunsicherung bemerkbar macht und wie man gegensteuern kann, um sich selbst zu beruhigen.
Es bedeutet auch zu wissen, welche Knöpfe Wut auslösen, die dazu führt, dass wir unbeherrschte Entscheidungen treffen.
Es bedeutet sich selbst und seine eigenen Reflexe, Impulse, Haltungen und Tendenzen wirklich zu kennen.
Wann haben wir wirklich Hunger und wollen daher etwas essen und wann ist uns nur langweilig? Was denken wir über uns selbst wenn wir einen Fehler gemacht haben und ist das auch etwas was wir zu einem guten Freund sagen würden? Wie verhalten wir uns in fremden Situationen und haben wir eine Strategie die uns das Fremde leichter machen kann?
All das mag sich trivial anhören, doch die meisten Menschen wissen auf diese Fragen keine erschöpfende Antwort. Wir leben zwar unser ganzes Leben mit uns, doch kennen wir uns wirklich? Sind wir ein Spielball der Welt, die unsere Knöpfe drücken kann und wir immer wieder in die gleichen Reaktionsmuster verfallen? Erkennen wir Spiele, die mit uns gespielt werden und die wir selbst spielen?
Der gereifte Mensch
Alfred Adler, der große Psychologe, sprach immer wieder vom gereiften Menschen. Jemanden der reif ist in seinem Verhalten und keine Last ist für andere.
Sind wir das? Sind wir wirklich reif oder fallen wir oft genug in Kindheitsmuster zurück und sind zickig? Oder trotzig? Oder unfähig uns auszudrücken was wir wirklich wollen?
Wer diese Reife nicht erreicht hat, wird sich schwer tun, in sich Halt zu finden. Sich auf andere zu verlassen oder von anderen zu erwarten, dass sie einem die Welt bereit legen, ist ein immer mehr um sich greifendes Denken. Doch Reife geht stets von Eigenverantwortung aus und diese ist gepaart mit Unabhängigkeit.
Sich innerlich Halt geben können bedeutet auch, dass wir mit Verlusten besser umgehen können. Der Schmerz ist tief und kann überwältigend sein, doch der reife Mensch ist in der Lage sich daraus zu erheben und seinen Weg weiter zu gehen. Sich zu fragen, was es jetzt für Möglichkeiten gibt und wo Chancen liegen können.
All das können wir erreichen, wenn wir lange genug inne halten und uns fragen, wie weit wir denn auf unserer Reise schon gekommen sind. In dem wir uns die Zeit nehmen, uns selbst wirklich kennen zu lernen. Mit all unseren Reaktionen, Impulsen und Verhaltensweisen.
Wie können wir mit bisher schwierigen Situationen besser umgehen? In dem wir z.B. schauen, wie andere Menschen das bewältigen und uns fragen, was sie anders machen als wir. Welche Gedanken sie vielleicht hegen im Gegensatz zu uns.
Um uns solche Fragen stellen zu können, müssen wir lange genug inne halten. Das braucht Zeit und Raum. Immer weniger Menschen geben sich diese Zeit und so haben wir immer mehr Erwachsene, die eigentlich noch unreife Kinder sind und sich auch so verhalten.
Erkenne dich selbst
Ein Vergleichen mit jemand anderen und ein unbedingtes Mithalten wollen was z.B. finanzielle Errungenschaften angeht (mein Haus, mein Auto, mein Pferd…) zeugt nicht von Reife, sondern von Unsicherheit. Auf jemanden der Erfolg hat neidisch zu sein, ist oft gespeist von Traurigkeit und der Furcht abgehängt zu werden.
Es stecken vielfältige Emotionen hinter unserem Verhalten. Doch wenn wir sie unbesehen hinnehmen und nie hinterfragen, dann können wir auch nicht reifen und damit kann auch ein innerer Halt nur schwer entstehen.
Können wir uns auf uns selbst verlassen? Wie sieht es mit Selbstdisziplin aus? Rennen wir vor diesem Wort davon und geben wir ihm uns hin?
Sich auf die Reise der Selbsterkenntnis zu begeben, kann uns helfen, dass unser Leben besser gelingt. Wer sich selbst kennt, seine Reaktionen einschätzen kann, die eigenen Emotionen lernt zu dämpfen, wenn sie überschießen, wird in allen Bereichen des Lebens mehr Gelassenheit und Zuversicht erlangen.
Das ist dieser Halt von dem wir inzwischen schon so oft gesprochen haben. Dieser Halt entsteht daraus, dass wir immer besser wissen, woran wir mit uns dran sind.
Wenn ich weiß, dass meine Reaktion auf bestimmte Menschen überschießend ist (bis jetzt) kann ich anfangen mir zu überlegen, was eine bessere Option dafür ist, wie ich damit besser umgehen kann, was ich brauche, um anders reagieren zu können, welche Gedanken mir helfen können mein Ziel zu erreichen.
Sich mit all dem zu beschäftigen bedeutet, dass wir immer mehr und immer schneller ein automatisches Reaktionsmuster erkennen und immer mehr und immer besser in eine gewünschtere Richtung navigieren können.
In dem wir uns entscheiden, wie wir reagieren wollen. In dem wir lange genug inne gehalten haben, um nicht mehr wie aus Reflex zu handeln.
Freiheit entsteht durch Selbstverantwortung
Das bedeutet nicht, dass das Leben zukünftig easy going sein wird, doch es kann bedeuten, dass es uns leichter vorkommen wird. Wer sich nicht mehr verstricken lässt in emotionale Spiele, kann sich seine Energie behalten und ganz anders regieren als bisher.
Damit werden wir unabhängiger. Was es für andere Menschen nicht immer einfacher macht, wenn sie doch so gern wollen, dass wir uns so oder so verhalten, doch für uns ist es wichtig, dass wir unserem Inneren treu bleiben.
Denn nur wenn wir das tun, dann haben wir auch das Gefühl, dass wir uns wirklich auf uns selbst verlassen können. Dass wir auch, wenn wir scheitern, nicht aufgeben werden und uns selbst Mut zusprechen.
Wie und wo kannst du das nächste Mal inne halten, um dir diese Fragen zu stellen, die wir in diesen Zeilen beleuchten?
Was für Gelegenheiten kannst du für dich schaffen, in denen du wirklich allein mit dir und deinen Gedanken bist und dich bewusst einer oder mehrerer dieser Fragen zu widmen?
Was würde sich in deinem Leben verändern, wenn du dir eingestehst, dass du noch nicht reif bist und noch einiges nachzuholen hast? Wie könnte sich dein Denken über dich verändern, wenn du beginnst die Verantwortung für das zu übernehmen, was dir geschieht?
Du kannst es nicht ändern, wenn jemand anderer dich plötzlich anbrüllt, doch du kannst ändern wie du reagierst. Ob du dich wie eine Marionette an den Fäden ziehen lässt oder ob du es schaffst inne zu halten und zu registrieren, was hier gerade passiert.
Dieser Moment zwischen Reiz und Reaktion ist der Raum, in der die Magie geschehen kann. Das braucht innehalten, um den Raum überhaupt zu schaffen. Das Innehalten IST dieser Raum.
Welche Souveränität dadurch möglich wird! Wir sind nicht nur reflexhafte Kreaturen, wir haben auch die Möglichkeit eine Reaktion abzubremsen und durch eine andere zu ersetzen.
Reife in deinen Reaktionen
Was jemand auch über dich denken mag, wie jemand auch mit dir umgehen mag, was jemand auch zu dir sagen mag, all das vermag dich nur zu verletzen, wenn du es ebenfalls über dich denkst. Wenn dein Halt in dir liegt, dann bist unabhängig von der Meinung anderer Menschen. Was nicht heißt, dass man nicht auf den Rat anderer Menschen hören sollte, es bedeutet vielmehr unterscheiden zu können, wann ein Verhalten, ein Satz, eine Haltung etwas ist, was wir wirklich bedenken sollten.
Inne halten kann auch dazu führen, dass wir erkennen, dass unser Gegenüber recht hat. Doch wir hatten uns so angegriffen gefühlt, in unserer Ehre getroffen, dass wir es nicht zugelassen haben, den Wahrheitsgehalt des Gesagten zu erfassen. Vielleicht auch weil, es bedeutet hätte, dass wir Scham empfunden hätten oder ein ähnlich unangenehmes Gefühl.
Wie immer versuchen wir diesen Gefühlen aus dem Weg zu gehen. Doch oft liegt darin die Lösung für die Situation. Und wenn wir es zulassen, dass wir uns nicht von Emotionen regieren lassen, sondern sie als Werkzeug sehen können, die uns etwas aufzeigen, dann können wir auch beginnen ein anderes Verhalten einzuüben.
Inne halten heißt innen Halt zu finden.
Was kannst du heute tun, um diesen Halt in dir zu finden? Welche Fragen kannst du dir stellen, mit welchen Themen über dich kannst du dich beschäftigen und so mehr über dich erfahren?
Das ist ein lebenslanger Prozess. Doch je eher wir uns auf den Weg machen und uns darauf einlassen, umso mehr gehaltener werden wir uns im Leben fühlen. Denn der Halt den wir in uns finden, ist durch nichts zu ersetzen.
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